22.03.2024

SeaClear: Roboter stehen bereit, die Ozeane vom Müll zu befreien

KI und Roboter revolutionieren die Müllsammlung in den Weltmeeren 

Europäische Forscher haben ein Team von smarten Robotern entwickelt, das die Meeresböden von Müll befreien soll. Das SeaClear-System, das im Rahmen eines vierjährigen europäischen, im Dezember 2023 zu Ende gegangenen Forschungsprojekts entwickelt wurde, hat Testserien in klaren und trüben Gewässern erfolgreich bestanden.

Das SeaClear-System besteht aus mehreren, miteinander vernetzten Komponenten. Das Basisschiff, die SeaCAT, ist die zentrale Komponente, über die zwei ferngesteuerte Unterwasserfahrzeuge (ROVs) eingesetzt und gesteuert werden: Das Mini-Tortuga dient der Erkundung und das größere Tortuga-ROV der Sammlung von Abfall. Der Müll wird in einem speziellen Behälter gesammelt. Zusätzlich überwacht und kartiert eine Drohne aus der Luft die Meeresoberfläche und hilft, Müll aus der Luft zu erkennen. Alle Komponenten arbeiten zusammen und erstellen eine Karte des Meeresbodens, spüren Müll auf und sammeln und entfernen ihn dann effizient.

Im derzeitigen Entwicklungsstadium kann das SeaClear-System bis zu 7 kg heben; der Greifer fasst ein Volumen von zwei 2-Liter-Mineralwasserflaschen, und die Roboter können Müll in bis zu zehn Meter tiefen Gewässern aufsammeln. Wird das System so weiterentwickelt, dass es kommerziell eingesetzt werden kann, wird es um 70 % kostengünstiger als der Einsatz von Tauchern sein.

Finanziert wurde die Forschung über ein von der TU Delft in den Niederlanden geleitetes und im Dezember 2023 ausgelaufenes Projekt unter Horizon 2020. „Am Ende des Projekts hatten wir ein voll funktionsfähiges betriebsbereites System," so der Claudia Hertel-ten Eikelder von der Hamburg Port Authority. Diese bahnbrechende Erfindung zeigt das Potenzial autonomer Robotertechnik, das dringende Müllproblem in den Ozeanen zu lösen.

Kernthema des Projekts SeaClear sind die stark wachsenden Müllberge in den Ozeanen, die eine ernsthafte Bedrohung für die Ökosysteme, Flora und Fauna der Meere sowie die Gesundheit der Menschen darstellen. Die geschätzten 26 bis 66 Millionen Tonnen Abfall, die momentan die Ozeane verschmutzen, bestehen hauptsächlich aus Plastik. „Schaut man auf die Meeresoberfläche, sieht man nur eine wunderschöne, blaue See. Sobald man jedoch unter die Oberfläche taucht, schlägt einem die hässliche Realität entgegen,“ sagt Iva Pozniak von der regionalen Entwicklungsbehörde im Bezirk Dubrovnik-Neretva in Kroatien. Über 90 % des Abfalls sind nicht mit bloßem Auge zu erkennen, denn sie befinden sich auf dem Meeresboden.“ 

Der Müll verschandelt nicht nur die Unterwasserwelten, er zerstört auch Lebensräume, umschlingt und vergiftet die marine Flora und Fauna, und zerstört ganze Unterwasserökosysteme. Mikroplastik, das anfällt, wenn größere Plastikteile in kleinere Kunststoffteilchen zerfallen, gelangt in die Nahrungskette und stellt so ein Gesundheitsrisiko sowohl für die Meeresflora und -fauna als auch für den Menschen dar. Das Problem verschlimmert sich zusätzlich dadurch, dass ein großer Teil dieses Abfalls auf dem Meeresboden landet, wo er schwierig zu erkennen und zu entfernen ist. Das Ziel von SeaClear ist, dieses Unterwassermüllproblem mittels innovativer, autonomer Robotertechnologie in den Griff zu bekommen, um unsere Ozeane vom Müll zu befreien und ihre Biodiversität zu erhalten.

„Die Natur hat keine Mittel, von sich aus die Ozeane zu säubern. Wir müssen selbst innovative Lösungen entwickeln,“ erklärt Stefan Sonowski von der TU München in Deutschland. Auch wenn die Natur selbst keine Lösung bereithält, haben er und seine Kollegen sich von der Natur inspirieren lassen, insbesondere bei der Entwicklung der Struktur des Greifers, die den Honigwaben der Bienen nachempfunden wurde. Damit hat der Greifer ein geringes Gewicht, ist aber trotzdem robust, und kleine Unterwasserlebewesen können durch die Waben entkommen, während der Abfall festgehalten wird.

Eines der Hauptmerkmale des SeaClear-Systems ist dessen Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Bedingungen, einschließlich variierender Wassereigenschaften und unterschiedlicher Arten von Müll. „Leider ist überall Müll, aber an unterschiedlichen Orten finden sich unterschiedliche Arten von Müll,“ erklärt Cosmin Delea vom Fraunhofer CML in Deutschland. Im Hamburger Hafen, eines der Testgebiete von SeaClear, gibt es zum Beispiel schwerere Industrieabfälle, wohingegen der Abfall in den Touristengebieten von Kroatien, zum Beispiel Plastikflaschen und -tüten, leichter ist. 

Künstliche Intelligenz (KI) spielt eine zentrale Rolle für die Funktionalität von SeaClear. KI-basierte Algorithmen orten und erkennen Abfall mit hoher Genauigkeit und sind darauf programmiert, Müll von Meeresflora und -fauna zu unterscheiden. Mittels integrierten maschinellen Lernens und Computer-Vision navigieren die Unterwasserroboter in den Unterwasserwelten und fällen Entscheidungen.

Die neu aufgekommenen Großen Sprachmodelle [large-language models] wie z.B. ChatGPT können die übergeordnete Planung zusätzlich unterstützen, indem sie das optimale Vorgehen für das System ermitteln. Schwierige Herausforderungen in der Robotertechnik auf den unteren Ebenen bleiben trotzdem bestehen. „Stellen Sie sich vor, sie bitten einen Roboter, Ihnen ein Bier aus dem Kühlschrank zu holen," veranschaulicht Professor Lucian Bușoniu von der Technischen Universität Cluj-Napoca in Rumänien. „Wenn es darum geht, den Greifer auszurichten, die Flasche zu greifen, die richtige Kraft aufzuwenden, diese Schnittstelle zwischen Roboter und der wirklichen Welt - da wird es unübersichtlich.” Um Lösungen für diese Aufgaben von SeaClear zu finden, werden technische Entwicklung und Tests weiterhin eine Rolle spielen.

Maschinelles Lernen hilft ebenfalls dabei, die Komponenten so zu führen, dass sich Kabel nicht verheddern. Einige Komponenten sind über Kabel mit dem Mutterschiff, der SeaCat, verbunden, so dass sie unter Wasser über Stunden betriebsfähig sind. „Wir haben einen Algorithmus entwickelt, der es uns erlaubt, durchhängende Kabel zu kontrollieren,” sagt Ivana Palunko von der Universität Dubrovnik und betont dabei, dass „Unterwasser-Kabelmanagement von großer Bedeutung ist.”

Da SeaClear sich zu einer umsetzbaren Lösung für die Säuberung der Meeresböden entwickeln könnte, muss das Team auch die übergreifenden rechtlichen Auswirkungen sowie die Auswirkung auf andere am maritimen Geschäft Beteiligte berücksichtigen. „SeaClear ist technisch autonom und kann den Job eigenständig erledigen, aber in der Realität müssen wir die kommerzielle und Freizeitschifffahrt, Kayaks, industrielle Schiffe und Taucher berücksichtigen, die ebenfalls auf und in den Gewässern zu finden sind," warnt Claudia Hertel-Ten Eikelder von der Hafenbehörde in Hamburg, wo mehrere Tests durchgeführt wurden. 

„Angesichts der erfolgreich durchgeführten Experimente zum Nachweis der Machbarkeit könnte SeaClear jetzt kommerziell eingesetzt werden,” sagt Yves Chardard von SubSea Tech, dem französischen Partner von SeaClear. Die Lösung könnte für Häfen, Touristenorte, Umweltinstitutionen und weitere zivile und militärische Einrichtungen attraktiv sein. 

Bei der Entwicklung des SeaClear-Systems im SeaClear 2.0-Folgeprojekt „müssen wir schneller sein, mehr Gewicht heben und noch tiefer gehen können,“ so Chardard. „Mit SeaClear 1.0 sammeln wir Plastikflaschen, Schuhe und ähnlichen Müll ein. Mit SeaClear 2.0 beabsichtigen wir, Reifen, Waschmaschinen und insgesamt schwerere Sachen zu greifen. Es ist deutlich schwieriger, 250 kg vom Meeresboden aufzuheben, deshalb wollen wir uns darauf konzentrieren.“

Aufbauend auf dem Erfolg von SeaClear hat das Team 9 Millionen Euro an finanziellen Mitteln aus dem Horizon Europe-Fond und der Kofinanzierung für SeaClear 2.0 gewinnen können. Damit soll ein robusteres System für die Sammlung von Müll im Mittelmeer von der Meeresoberfläche und vom Meeresboden entwickelt werden. Außer Robotertechnik umfasst das Folgeprojekt auch Gemeindepolitik und die Einbindung der Bevölkerung durch Aktionen wie gamifizierte Apps und Aufklärungsprogramme zur Abfallreduzierung. Mit den im gesamten Mittelmeerraum geplanten Kampagnen vereint das aus 13 Partnern in 9 Ländern zusammengesetzte Konsortium öffentliches Engagement, KI, Meerestechnologie und Recycling-Expertise in dem Projekt und schafft so einen umfassenden Lösungsansatz, den Schutz der Meere zu fördern. Start des SeaClear2.0-Projekts war im Januar 2023. Es ist Teil der EU-Mission „Restore our Ocean and Waters“ [Wiederherstellung unserer Ozeane und Gewässer]. Mehr dazu können Sie auf unserer Social-Media Webseite unter https://linktr.ee/seaclear2.0 finden.

Sinje Pangritz

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